Manchmal kann man sich als Architekt über das Aussehen unserer Städte nur wundern. Im Ruhrpott und insbesondere in Essen sowieso. Ich mag das irgendwie, es hat so einen spröden Charme, nicht so schickimicki. Machmal gehts mir aber auch zu weit. Da wäre beispielsweise diese fensterlose Trapezblechkiste in der Rüttenscheider Straße, an der Ecke Christophstraße. So ein Ding erwartet man vielleicht in einem Industriegebiet aber doch nicht mitten auf einer Einkaufmeile wie der Rüttenscheider Straße.

Also, was steckt dahinter? – Die Antwort ist einfach: Nichts! Die hässliche Blechverkleidung ist nur Kulisse. Diese Erkenntnis habe ich beim Stöbern auf einer Website mit historischen Aufnahmen erlangt (an dieser Stelle Dank an die igr, dass ich die Bilder hier übernehmen durfte). Ein kurzer Blick in einen Internet-Luftbild-Kartendienst des Vertrauens bestätigt das Ganze. Im Erdgeschoss ein Ladenlokal, dass bis vor kurzem noch einen Lebensmittel-Billigheimer beherbergt hat. Darüber nichts außer ein paar Verstrebungen für das Blechding.

Vor dem zweiten Weltkrieg stand auf dem Grundstück das „Haus Hindenburg“, ein stattliches Caféhaus, das heute mit der historischen Ausstattung sicherlich der Renner wäre. Ist aber nicht, denn nach 1945 war es nur noch ein Trümmerhaufen, in denen ein neuer Gastronomiebetrieb notdürftig wieder eröffnete. Erdgeschoss hergerichtet, Notdach drauf, fertig. Hauptsache der Laden läuft. Dabei blieb es bis heute. Irgendwann hat man wohl versucht, mit den Blechen die ursprüngliche Traufhöhe wiederherzustellen und den Rest der Ruine zu verdecken. Besser geworden ist es dadurch nicht. Jetzt steht das Gebäude leer. Vielleicht erbarmt sich ja endlich mal jemand und reißt den ganzen Murks ab.

Das ehemalige Haus Hindenburg ist kein Einzelfall. Wenn ich mich hier umgucke, begegnen mir immer wieder Straßenzüge, die aussehen wie stark kariöse Zahnreihen. Fehlende Geschosse und ursprünglich als Notkonstruktion errichtete Dachstühle finden sich nach wie vor in vielen Stadtteilen, die 39-45 ordentlich auf die Mütze gekriegt haben. Warum diese Behelfe überdauert haben, darüber kann ich nur spekulieren. Fehlt es den Besitzern am nötigen Kapital? Sind die Flächen in den unteren Geschossen so lukrativ, dass sich Wohnungen oder Büros darüber gar nicht rentieren? Oder sind es die erheblichen Ablösesummen für PKW-Stellplätze, die bei der Wiedererrichtung fällig würden? Das jedenfalls berichtete mir einmal ein Hausbesitzer im Moltkeviertel. Was auch immer es sein mag, es ist deutlich sichtbar im Stadtbild. Klingt seltsam, aber nach siebzig Jahren ist Essen noch immer noch von Kriegsschäden und der Mangelwirtschaft der ersten Nachkriegsjahre gezeichnet. Wie heißt es so schön: Provisorien halten ewig. Ist vielleicht als stilles Mahnmal gar nicht so schlecht.

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