Wir schreiben Mai 2023. Der Weltklimarat hat vor wenigen Tagen bekannt gegeben, dass das 1,5°C-Ziel schon in wenigen Jahren überschritten wird. Dementsprechend wird das hier kein amüsantes Lesestück. Vielleicht geht der Text als Rant durch, wahrscheinlich habe ich das eher als eine Art Dokumentation des Zeitpunktes geschrieben, ab dem für mich persönlich feststeht: Wir haben es verkackt, wir kriegen die Klimakatastrophe nicht mehr in den Griff. 

Wir haben hier mit Themen zu kämpfen, die langfristige und unausweichliche Konsequenzen für mich, wie für uns alle haben werden. Da wird kein Superheld um die Ecke kommen und die Erde retten. Kein Steve Jobs mit „one more thing“ und zack, haben wir eine innovative Lösung für alle Klimaprobleme. Nein, das geht nicht weg, das wird über Jahrzehnte erst einmal immer schlimmer, selbst wenn wir jetzt eine komplette Kehrtwende machen. Derzeit machen wir nicht einmal eine nennenswerte Kurskorrektur, Eisberg voraus, zu spät. Das macht mir Angst.  Wobei Angst vielleicht nicht das korrekte Wort ist. Es ist furchteinflößend?  nur einen Teil meiner Emotionen ausmacht. Nach einem Vortrag der Klimapsychologin Katharina van Bronswijk denke ich, dass auch eine gehörige Portion Trauer dabei ist.

Meine persönlichen Meinungs-Kipppunkte:

1. In Deutschland schwinden die Wasservorräte. Mein Wohnort liegt plötzlich im roten Bereich. Das hat mich alarmiert. Bislang dachte ich immer, bei uns im Westen Deutschlands (geographisch gemeint, nicht politisch) würde das schon nicht so schlimm werden. Ja, der Wald vertrocknet schon seit Jahren und an den Kahlschlag überall habe ich mich schon gewöhnt aber im Frühjahr hatte es doch endlich mal genügend geregnet? Und mit geeigneten Baumsorten und ordentlich Bewässern… Upps.  

2. Die aufgeheizte Debatte um ein angebliches „Heizungsverbot“ oder das unsägliche Ablehnen eines Tempolimits haben mir noch einmal vor die Augen geführt: Ein großer Teil der deutschen Bevölkerung ist gar nicht an einer Energiewende interessiert bzw. nicht willens. Viele meiner Landsleute benehmen sich derzeit wie bockige kleine Kinder. Das scheint mir auch keine Frage des Alters, Einkommens oder der Bildung zu sein.
Übrigens: Vor ungefähr 20 Jahren habe ich in einem Architekturbüro gearbeitet, dass man wirklich nicht als Öko bezeichnen konnte. Wir haben damals Wege gesucht, den Energieverbrauch unserer Bauten herunterzubekommen. Wir fanden das spannend und zielführend. Dafür haben wir unter anderem Wärmepumpen eingebaut und das hat damals schon problemlos funktioniert. 

3. Der demographische Wandel, der uns gerade in Form von „Fachkräftemangel“ und Diskussionen über „Zuwanderung“ überrollt. Überall Kürzung von Angeboten, reduzierte Öffnungszeiten, lange Bearbeitungszeiten. Die Boomer gehen in Rente, es kommt kein Nachwuchs, denn den gibt es einfach nicht. Obendrauf kommt jetzt der Riesenberg an verschleppten Energiewende-Aufgaben, beispielsweise am Bau. Es fehlt ja nicht nur an HandwerkerInnen, auch an IngenieurInnen. Wer macht denn künftig unseren Kram? Digitalisierung oder auf ihre Bullshit-Jobs verzichten wollen viele ja auch nicht. Man sollte meinen, dass das prima Karrierechancen für ausländische Kräfte bietet. Da kommt dann ein Thread von Chris Pyak, Autor und Berater zum Thema Immigration/Recruiting um die Ecke: „Niemand, wirklich niemand, träumt davon nach Deutschland zu ziehen.“ Natürlich, überspitzt. Oder dieser Podcast von Deutschlandfunk Nova (der entsprechende Teil kommt ca. ab Minute 36:00).

Flucht ins Private

In den 2000ern als Al Gore mit „Unbequeme Wahrheit“ in die Kinos kam, dachte ich noch, dass wir die Energiewende schon hinbekommen können mit Müllsortieren und Energiesparlampen – mit solchen Vorschlägen endet der Film ja auch. Wahrscheinlich waren wir hier in Deutschland tatsächlich auf einem ganz guten Weg, wir hätten einfach nur Jahr für Jahr konsequent weiter daran arbeiten müssen. Haben wir aber nicht. Wir haben erst gepennt und dann angefangen zu bocken und zu tricksen und nennen das jetzt freundlich „Altmaier-Knick“. Inzwischen wird es gerne mal komplett gaga – Stichwort: nicht genug Schilder fürs Tempolimit

Die Folge schien mir bis zum Auftauchen diverser Fridays oder eben jener Letzten Generation eine Flucht ins Private. So versuche auch ich immer noch mein persönliches Verhalten anzupassen und darüber Einfluss auszuüben. Ich bin dabei alles andere als perfekt und spreche hier bewusst nicht von Klimaschutz, sondern von „weniger klimaschädlich“:   

Ich habe das eigene Auto abgeschafft, nutze Bahn und ÖPNV wo immer möglich, fahre Auto höchstens elektrisch mit Ökostrom und bin seit Jahren in kein Flugzeug gestiegen. Schiffsreisen mache ich möglichst unter Segel, so etwas wie Kreuzfahrten käme nie in Frage. Ich habe meinen Fleischkonsum drastisch reduziert, kaufe regional, und langlebig, gebe nicht mehr benötigte Kleidung weiter und vermeide Plastik. Ich habe Bäume mit dem Bergwaldprojekt gepflanzt und mit den Gießkannenheld:innen bewässert, die Heizung heruntergedreht, sparsamere Haushaltsgeräte angeschafft und Fortbildungen zum nachhaltigen und ressourcenschonendem Bauen besucht – trotzdem ist mein persönlicher CO2-Fußabdruck immer noch zu hoch. Je nach Rechenweise locker doppelt so hoch, wie es langfristig klimaverträglich wäre.

Bei den Bereichen, auf die ich Einfluss habe, ist es vor allem der Faktor Wohnen. Mit einem tatsächlichen Verbrauch von rund 130 kWh/m²h ist unsere Wohnung zwar besser als ich gedacht hätte. Zudem beanspruchen wir pro Person weniger Wohnfläche als der Durchschnitt und die Lage ist so günstig, dass wir als Kompensation auf ein Auto verzichten können. Es ist trotzdem zu viel, ich rede mir das schön. Als Mieter bleibt uns außer Gasheizung runterdrehen nur eine Lösung: Ausziehen. Will ich nicht, auch mangels besserer Angebote. Es ist ein wunder Punkt, es nagt seit Jahren an mir.  

Flinte ins Korn werfen – niemals

Was machen wir denn jetzt? Flinte ins Korn werfen ist ja auch keine Lösung denn dadurch wird alles noch schlimmer. Zur Erinnerung: Es geht nicht darum, dass irgendwelche Linksgrünversifften eine Öko-Diktatur errichten wollen. Wir machen das, um die menschengemachte globale Erwärmung zu stoppen, die unsere Zivilisation bedroht. 

Ich möchte trotz allem weiter dazu aufrufen, bei allen Lebensaspekten immer wieder zu versuchen die Klimaauswirkungen zu reduzieren. Das wird mit Verzicht einhergehen, was gar nicht unbedingt negativ sein muss. Mir hilft dabei die folgende Nachhaltigkeitsstrategie:

1. Effizienz – besser
Energetisch sanierte Gebäude sind effizienter da sie pro Quadratmeter weniger Heizenergie benötigen.

2. Suffizienz – weniger
Die ganze Effizienz kannst Du Dir sonstwo hinstecken, wenn Dein Passivhaus mit 700 m2 Wohnfläche nur von einer Person bewohnt wird (kein ausgedachtes Beispiel).  

3. Konsistenz – anders
Musst Du wirklich mit dem Auto fahren? Kannst Du nicht mit dem Fahrrad zum Bäcker? Das hält gesund und irgendwann willst Du gar nicht mehr ins Auto steigen weil Dein Körper Bock auf die Bewegung hat. 

Zuckerbrot und Peitsche

Aber für Klimaschutz brauchen wir doch mehr positive Anreize… Das muss ja auch jeder selber…  Ja, reicht aber nicht. Im Büro arbeite ich beispielsweise für Unternehmen und Organisationen. Wenn die Bauverordnungen oder die Bauleitplanung vorschreiben, dass Fassaden begrünt und Parkplätze mit Photovoltaik überdacht sein müssen, dann tun die das. Wenn es nur eine vage Empfehlung gibt, dann nicht. So einfach ist das in dem Fall. Ich denke inzwischen, dass wir Daumenschrauben brauchen. Ist mir egal, ob sich dabei alle „mitgenommen fühlen“ oder nicht.

Bildquelle: unbekannt, eventuell @dasnuf

 

Nachtrag 1, wenige Tage nach der Erstveröffentlichung dieses Beitrags:

Die Bayerische Polizei hat Razzien bei AktivistInnen der Letzten Generation durchgeführt, in dem Zusammenhang deren Website beschlagnahmt und darauf ohne rechtliche Grundlage behauptet, es handele sich um eine kriminelle Vereinigung. Ich denke nicht, dass sie damit durchkommen werden. Dürfte ihnen auch egal sein, es geht doch sowieso nur darum: Flood the zone with shit.

Nachtrag 2, ebenfalls wenige Tage nach der Erstveröffentlichung dieses Beitrags:

Frankreich bereitet sich auf +4°C vor.

 

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