„Denn bei Euch im Süden von der Elbe, da ist das Leben nicht dasselbe“ – Beginner

In Hamburg gibt es dieses Jahr was zu sehen. Und zwar gleich doppelt und abseits der üblichen Touristenziele: die Internationale Bauausstellung (IBA) sowie die Internationale Gartenschau (igs). Die Hansestadt wagt den „Sprung über die Elbe“ in die lang vernachlässigten südlichen Stadtteile und in ehemaliges Hafengebiet. Wir Koschmieders mögen Hamburg alle sehr gerne und sind deshalb Ende April für ein Wochenende dort hingefahren. Richtig spektakulär war es nicht, aber trotzdem sehenswert. Ein Tipp vorweg: Einen guten Überblick bekommt man bei einer Tour mit dem IBA-Bus, der die einzelnen Ausstellungsorte miteinander verbindet.

Schöner Familienausflug auf der Gartenschau
Begonnen haben wir unser Wochenende mit der igs. Gartenschauen, das kennt man, bestehen in der Regel aus einem Park mit vielen Blumen, idyllischen Wegen, Abenteuerspielplätzen, Konzertbühnen und jeder Menge Eisbuden. Meist gibt es auch noch eine Kleinbahn, mit der man das Ganze einmal bequem durchqueren kann. Und genau so ist das in Hamburg auch. Also ganz schön für einen sommerlichen Familienausflug.

Bauausstellungen: „nachhaltige“ Architekturzoos
Sonntags ging es auf die IBA. Die klassischen Bauausstellungen gleichen meist einer Art Architekturzoo, bei denen die Architektenschaft anhand von Musterhäusern zeigt, wie sie sich die Zukunft vorstellt. Im besten Fall soll das Errichtete einen Impuls für zukünftige Stadtentwicklung geben – sprich: die Bauten werden nach der Ausstellung weiter genutzt. Ein schönes Beispiel ist das visionäre, aber isoliert gebliebene, Hansa-Viertel in Berlin aus dem Jahr 1957. Radikal anders war die IBA Emscherpark von 1989-1999, die gleich eine ganze Region umgekrempelt hat und aus dem schmutzigen Kohlenpott die vielfältige Metropolregion Ruhr mit erfunden hat. Die IBA Hamburg liegt zwischen diesen Extremen: Einerseits Musterhäuser in der sogenannten „Bauausstellung in der Bauausstellung„, andererseits die Umsetzung der stadtplanerischen Idee „Sprung über die Elbe„.

Bauausstellung in der Bauausstellung: Nachhaltigkeit bis einer weint
In der neuen Mitte Wilhelmsburg, unmittelbar am Haupteingang der igs, präsentieren sich die Architekturprojekte der IBA als recht konventioneller Hamburger Würfelhusten. Doch die üblichen Backstein- oder Glasfassaden sucht man vergebens. Statt dessen wurde viel Putz auf klassischen Lochfassaden verbaut. Nicht wenige Architekten setzen bei ihren Architekturprojekten zudem auf Holzbau – das zumindest ist für Hamburg eine recht neue Entwicklung. Auch wenn viele Objekte noch nicht fertiggestellt sind: Schon von weitem ist deutlich zu sehen, dass die IBA auch den nicht fachkundigen Besuchern die Ideen des nachhaltigen Bauens und Lebens näherbringen will. Solarkollektoren und Photovoltaik wo man auch hinschaut. Ein Publikumsmagnet ist die blubbernde Bioreaktorfassade des unglaublich hässlichen BiQ-Hauses. In den grünlichen Kollektoren sollen Algen Biomasse, Biogas und Wärme für das Gebäude produzieren. Der Energiebunker will gleich einen ganzen Stadtteil mit regenerativer Energie versorgen. Richtig erlebbar war das allerdings bei unserem Besuch noch nicht, auch dieses Projekt ist weitgehend Baustelle. Leben am Wasser, sonst in HH allgegenwärtig, scheint kaum Thema zu sein. Lediglich zwei Projekte beschäftigen sich intensiver damit: In Harburg gibt es Eigentumswohnungen mit Bootsgarage – auch noch im Rohbau. Die Waterhouses hingegen sind fertig und stehen nun im Regenauffangbecken am Inselpark. Kann man so machen, sieht recht reizvoll aus. Aber ich denke da hat Hamburg mit anderen Projekten, beispielsweise den Floating Homes, die Latte bereits deutlich höher gelegt.

IBA Hamburg städtebaulich: Sprung über die Elbe
Wichtiger als die Architektur ist sicherlich das städtebauliche Konzept der IBA. Denn Hamburg will wachsen und hat sich dafür die Gebiete südlich der Elbe ausgeguckt. Das Programm läuft unter dem Slogan „komm rüber“ und interessiert mich gleich aus zwei Gründen. Zum einen ist die Stadt südlich der Elbe nicht dieselbe wie nördlich des Flusses. Es ist die „schäl Sick“ der Hansestadt, Arbeiterviertel irgendwo hinter dem Hafen (Wilhelmsburg), gefühlt schon Niedersachsen (Harburg), oder mit dramatisch hohem Migrantenanteil (Veddel). Hier sieht es ein bisschen aus wie in den Schmuddelecken des Ruhrpotts. Bloß mit mehr Wasser. Zum anderen habe ich die Gegend bereits 2003 kennen gelernt, als ich in einer WG in Harburg gewohnt, aber in der Innenstadt gearbeitet habe. Sprung über die Elbe täglich inklusive. Als Augenzeuge für das „Vorher“ kann ich sagen: Ja, es hat sich eine Menge verbessert. Häuser werden saniert, der Zollzaun zum Freihafen schnürt die Wohnviertel auf der Veddel nicht mehr ein und die lange stockende Entwicklung in den vergammelten Hafengebieten des Harburger Binnenhafens hat wieder Fahrt aufgenommen. Doch nicht alle finden das positiv: Das böse Wort Gentrifizierung macht die Runde. Die Anwohner fürchten, sicher nicht zu unrecht, Mietpreissteigerungen und Verdrängung. Bei der IBA-Gesellschaft hat man das Problem erkannt und betont immer wieder, dass man gegensteuert. Das äußert sich vor allem darin, dass die IBA die gewachsenen Kieze in Wilhelmsburg und Veddel weitgehend in Ruhe lässt und nur mit gezielten, sozial orientierten, Projekten eingreift. Ob das Experiment gelingt, wird sich erst in einigen Jahren zeigen.

Reisetipp:
Wer sich selbst ein Bild von der IBA Hamburg machen möchte, der fahre mit der S-Bahnlinie 3 (bzw. 31) bis Haltestelle Veddel, dort an den SEHR international geprägten Kiosken, Handyshops und Gemüseläden vorbei zum Informationszentrum IBA-Dock. Nach einem Gang durch die Ausstellung weiter mit dem IBA-Bus („nachhaltiger“ Hybrid natürlich) auf die große Rundtour. Besonders interessant ist die seltsam unfertige Harburger Schlossinsel und die dort in Containern untergebrachte Ausstellung. Besser erfahrbar ist das Gebiet sicher bei einer Tour mit dem Fahrrad. Ab nächstem Jahr, wenn die Zäune der igs wieder verschwunden sind, sollen auch Bootstouren von der Innenstadt über die Elbinseln bis Harburg möglich werden – dann wird es richtig spannend.

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