Sonntag, 3. April 2016. Eine Welle von Menschen schwappt in Den Helder aus dem Intercity aus Amsterdam, flutet die Barrieren des niederländischen Bahnsteigs. Zwei bleiben hängen, wie in einem Fischernetz. Wir sind zwei Deutsche, das Scannen unseres DB-Onlinetickets will einfach nicht funktionieren. Wir mustern uns, und irgendwie es schnell klar, dass wir dasselbe Ziel haben: Die Tres Hombres.
Burkhard und ich finden unser Schiff nicht an seinem angestammten Liegeplatz, sondern auf der Werft. Es geht zu wie auf einem Ameisenhaufen. Besatzung und unzählige freiwillige Helfer werkeln auf, in und unter dem Schiff. Wir haben Glück: Wir sind früh dran und bekommen Kojen mittschiffs hinter dem Frachtraum zugewiesen, dort wo auch die Crew schläft. Der Rest der Trainees logiert zu sechst „vor dem Mast“. Wir sind immerhin nur zu zweit und haben eine kleine Nische, die uns ein bisschen Privatsphäre bietet. Später werden Burkhard und ich in verschiedene Wachen eingeteilt, so dass ich das Quartier sogar größtenteils für mich alleine habe. Für mich Einzelgänger auf jeden Fall ein Glücksfall. Der einzige an Bord, der eine richtige Tür hinter sich schließen kann, ist der Capt’n.
Luxuriös ist die Unterbringung nicht. Die Tres Hombres mag ein stolzes Segelschiff sein, unter Deck gleicht sie eher eine Baubaracke. Unsere Kabine, wenn man sie denn so nennen mag, ist ein einfacher Bretterverschlag ohne Tageslicht. Wenn ich in der Koje liege, habe ich direkt links neben mir die Bordwand aus grob gehobelten ungestrichenen Holzplanken. Knapp 30 oder 40 Zentimeter über meinem Kopf verlaufen rostige Stahlträger, die schon bessere Zeiten gesehen haben. Später wird mir klar: Bei der salzigen Seeluft rostet einfach alles binnen kurzer Zeit. Selbst der Edelstahl-Deckel der billigen Armbanduhr einer Mitseglerin. Aufrecht sitzen geht in meiner Koje nicht, aber wenigstens ist die Matratze lang genug für meine 1,82 Meter. Solange wir noch auf der abschüssigen Slipanlage der Werft liegen, zeigt mein Kopf zudem leicht nach unten. Wir könnten von der Reederei auch ein Zimmer in Den Helder bekommen, aber hey, wir sind an Bord und gehen hier nicht weg.
Wo wir gerade beim Thema Luxus sind: Es gibt elektrische Beleuchtung und der Navigationsraum ist vollgestopft mit sämtlicher Elektronik, die man heutzutage für die Seefahrt braucht. Danach hört es auf. Kein fließend Wasser, keine Heizung. Süßwasser kommt aus einer Handpumpe und ist nur zum Kochen, Trinken und Zähneputzen rationiert. Waschen, oder eben Duschen, geht nur mit Seewasser aus dem Eimer. Und ganz ehrlich: Bei 8 Grad Wassertemperatur überlegt man sich das gründlich.
Nach und nach stoßen weitere Trainees dazu. Man erkennt die Neuankömmlinge an ihrer Kleidung. Hightech-Segelausstattung und saubere Hosen stehen den abgerissenen Klamotten derjenigen gegenüber, die schon länger dabei sind. Wer eigentlich alles mitfahren wird, ist uns nicht so recht klar. Die Stimmung ist erwartungsvoll, wir bekommen einen herzlichen Empfang.
Die Tage vergehen mit Warten, Dinge aus dem Schiff räumen, umsortieren und wieder einräumen. Wir versuchen uns bei den Instandsetzungsarbeiten nützlich zu machen. Stundenlang auf den Knien rutschend Pechfugen zwischen den Planken auskratzen ist besser, als herumzulungern. Dummerweise haben wir Trainees keinen blassen Schimmer, was wohin muss. Nicht selten haben wir das Gefühl, Dinge von A nach B und dann wieder zurück zu räumen. Immer scheint irgendetwas im Weg zu liegen, dass uns daran hindert, einen Job fertig zu machen. Für mich als typisch deutschen Ingenieur ist das eine Herausforderung. Alle arbeiten fleißig, wir stehen herum oder vertrollen uns in ein Café in der Stadt. Das scheint okay zu sein.
Es geht immer noch nicht los, und obwohl wir eigentlich entspannte Tage in Den Helder verbringen, macht es mich wahnsinnig. Ich bin Angestellter, ich habe nur begrenzt Urlaub zur Verfügung und meine Zeit läuft gerade in Riesenschritten ab. Sonntag bin ich angekommen. Montag in See stechen hatte ich gedacht. Aber die Firma, die den Kompass neu kalibrieren muss, kommt erst Dienstag. Mittwoch und Donnerstag ist Sturm, da will der Master mit uns Neulingen nicht los. Außerdem ist noch viel zu tun. Fünf Tage hängen wir schon im Hafen und das Schiff wird einfach nicht fertig. Jedesmal, wenn eines der neu angeschlagenen Segel probeweise gehisst wird, zerrt das Schiff an den Festmacherleinen. „She wants to sail“, sagt der Master. Ich auch.