2012 habe ich angefangen unter dem Titel „Tiefschwarz“ typische „zweckmäßige Nachkriegshäuser mit ihren grau-schwarzen Fassaden“ zu fotografieren. Inzwischen wäscht der Ruhrpott-Dreck immer mehr runter und die Fassaden werden wieder sauber. Dadurch kommt etwas zum Vorschein, das ich ich übersehen habe: Unter der Schmutzschicht ist nicht alles grau, einige der Häuser sind farbig. Beige, gelblich, rötlich, grünlich. Diese Putzfassaden sind ein schönes Stück Industriegeschichte jenseits von Kohle, Stahl und Bier (siehe auch Forschungsbericht der FH Potsdam). Und das kam so:

1883 gründet sich die „Terranova-Industrie“. Der Fabrikant Dipl.-Ing. Carl August Kapferer und der Architekt Dr. Ing. Wilhelm Schleuning nehmen in der Oberpfalz die Fabrikation von „Terranova D.R.P.“ auf. Es wird Putz in den Farbtönen Gelb, Hellrot, Dunkelrot, Silbergrau, Gelblich, Grüngrau und Rötlich angeboten. Die Neuheit: Das Material dieser „Edelputze“ kommt schon fertig angemischt auf die Baustelle, es muss nicht mehr wie in früheren Zeiten von Hand aus verschiedenen Sanden, Gesteinsmehlen, Kalk und/oder Zement vor Ort hergestellt werden. Nur noch Sack aufreißen, Wasser drauf, fertig. Vor allem sind die Putze bereits im Werk durchgefärbt, man muss – und sollte immer noch – die Fassade nicht streichen.

Die neuen Putze setzen sich durch. In den 1930er Jahren werben die „Terranova- und Steinputzwerke Essen-Kupferdreh (Fernruf: Essen 59554 / Drahtwort: Terranova)“ für ihre „weltbekannten farbigen Trockenmörtel für Außen- und Innenputz“. Der Steinputz, bei dem ein harter Zementmörtel nach dem Abbinden steinmetzmäßig bearbeitet wird, wurde laut Bürgerschaft sogar in Kupferdreh erfunden. „Durch ihre mit großer Beharrlichkeit betriebenen Versuche in der Herstellung dieses Putzes haben die Vereinigten Steinwerke in Kupferdreh die Führung erhalten“, schreibt der Architekt Albert Betten 1927 in der Deutschen Bauzeitung. In der Zwischenkriegszeit erscheinen auch erste DIN-Normen zum Thema und der „Bund zur Förderung der Farbe im Stadtbild e.V.“ gibt das Merkblatt „farbige Trockenmörtel“ für Edel- und Steinputze heraus. Doch die Bauleute sprachen lieber von „Terranova“, im Sinne wie wir heute von Tesa statt von transparentem Klebefilm sprechen.

Und nach dem Krieg? Hat man die industrielle Entwicklung wohl einfach wieder aufgegriffen. Der Wiederaufbau im Ruhrgebiet ist geprägt von „Terranovafassaden“. Steinputze für Sockel und Türeinfassungen, Kratzputze für die Fassadenfläche. „Vermöge ihrer Dauerhaftigkeit, Lichtechtheit und Wetterfestigkeit sind sie der Werkstoff für farbige Architekturgestaltung und dabei infolge ihrer Ausgiebigkeit auch sehr wirtschaftlich“, wirbt Terranova.

Rund 60 bis 70 Jahre später kann ich sagen: stimmt. Viele der Fassaden sind, obwohl rußverdreckt oder doch überstrichen, technisch gut in Schuss. Vor allem wenn man bedenkt, dass all die Jahre nie etwas daran gemacht wurde. Sie entsprechen bloß nicht mehr unserem ästhetischen Empfinden und unseren Ansprüchen an die Energieeffizienz. Es gibt daher immer weniger dieser Originale. Und so möchte ich mit einem Satz schließen, den ich schon 2012 in dem Beitrag geschrieben habe: Man müsste sie unter Denkmalschutz stellen, diese letzten Zeugen der industriellen Vergangenheit.

P.S.: Man kann solche Fassaden auch prima neuinterpretieren, auch wenn dieses Beispiel von Bez + Kock nicht im Ruhrgebiet steht.

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