Scheiß doch auf die Seemannsromantik
Ein Tritt dem Trottel, der das erfunden hat
(Element of Crime)
Sonntag, 17. April 2016. Ich stehe unter der Dusche meines Hotelzimmers im französischen Quimper. Es ist die erste Dusche seit rund 10 Tagen und ich genieße sie, bis die Haut schrumpelig ist. Noch heute morgen habe ich mich an Bord des 32 Meter langen Frachtseglers Tres Hombres befunden. Am Tag zuvor sind wir in der Bucht von Douarnenez vor Anker gegangen. Ich bin müde, körperlich erschöpft und meine Hände sind zerschunden. Gleichzeitig fühle ich mich stolz und euphorisch wie ein Marathonläufer, der gerade die Ziellinie überquert hat.
Hinter mir liegen 550 Seemeilen vom niederländischen Den Helder nach Douarnenez in der Bretagne. Wir sind quer über die Nordsee zur englischen Ostküste gesegelt, haben die Straße von Dover passiert, immer weiter nach Westen bis die länger und höher werdenden Wellen den nahen Atlantik angekündigt haben. Dann ein Schlag nach Süden Richtung Ile d’Ouessant, dem westlichsten Punkt Frankreichs und schließlich wieder ein Stück ostwärts, in die Baie de Dournanenez.
Gesehen habe ich all diese Orte auf unserer Route nur aus der Ferne. Denn das mit dem Frachtschiff ist ernst gemeint. Die Tres Hombres verschifft „emission free“ Waren wie Kakao, Rum, Kaffee oder Wein auf einer Transatlantik-Route zwischen Europa und der Karibik. Rund 30 Tonnen fasst der Frachtraum. Auf dieser Etappe ist er noch fast leer. Ein paar Rumfässer, ein paar Säcke Kakao für Frankreich, Kleinkram. Wie bei allen Frachtschiffen heißt es: „The ship goes were the Cargo goes.“ Zwischenstopp nur zum Bummeln ist normalerweise nicht drin, Meilen machen heißt das Ziel. Klimaneutraler Transport, das hatte für mich einen tieferen Sinn als nur tourimäßig herumzuschippern.
Mit dem Segeln meinen die Macher der Tres Hombres es übrigens todernst. Eine Antriebsmaschine gibt es nicht. Gar nicht. Wer mit dem Zweimaster unterwegs ist, muss Wind und Gezeiten geschickt nutzen, um ans Ziel zu kommen. Das braucht Zeit und Geduld. Beides habe ich nur begrenzt, das ist Teil des Abenteuers. Und es braucht Vertrauen. Das habe ich, auch wenn das Schiff nicht gerade aussieht wie einer dieser werbetauglichen Großsegler mit den weißen Segeln. Es ist halt ein Arbeitstier, dass von erfahrenen Skippern hart rangenommen wird und den Atlantik bereits 14 Mal problemlos überquert hat. Außerdem bin ich nicht zum ersten Mal auf einem Segelschiff. So weit draußen auf dem Ozean und so früh im Jahr war ich allerdings noch nie unterwegs. Auch das ist Teil des Abenteuers.
Mein Part an Bord ist bescheiden. Ich bin einer von acht Trainees, eine Mischung aus Segelschüler, ungelernter Deckhand und zahlendem Passagier. Ich werde schon nach der ersten Etappe von Bord gehen. Andere Trainees bleiben bis zu sechs Monate und haben dafür Wohnung und Job gekündigt. Einige befinden sich gerade in der Ausbildung am Enkhuizen Nautical College, der einzigen Seefahrtsschule in Europa, die gezielt Personal für Segelschiffe ausbildet – verrückte Niederländer, immer noch durch und durch eine Nation von Seefahrern. Eine professionelle Crew aus Master (international übliche Bezeichnung für einen Kapitän in der Handelsschifffahrt), 1st Mate, 2nd Mate (Steuerleute), Bosun (Bootsmann) und Cook macht die Besatzung komplett. Der Master der letzten Fahrt – schweigsam, schwerer Gang, wettergegärbtes Gesicht, dichter Vollbart, marineblauer Wollmantel, Ankertätowierung und damit der seebärigste Seebär der mir je begegnet ist – fährt als Passagier noch bis Frankreich mit. Alles in allem sind wir eine bunte, teils wilde Truppe aus Niederländern, Franzosen, Italienern, Schweizern, Engländern und Deutschen. Aber auch Finnland, die USA und Israel stehen auf den Pässen. Alle Altersklassen sind vertreten, Männlein, Weiblein und ein Hund. 17 Leute auf engstem Raum – noch ein Abenteuer. Wir wollen los, doch bis es endlich so weit ist, gibt es noch viel zu tun.